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Interview zum Wertewandel unserer Zeit

Politökonomin und Transformationsforscherin Maja Göpel spricht über Wahrhaftigkeit, gesellschaftlichen Wandel – und warum Unternehmen erfolgreicher sind, wenn sie auch für kommende Generationen wirtschaften.

Maja Göpel
Maja Göpel ist Politökonomin, Transformationsforscherin und Bestsellerautorin.
Sie beschäftigt sich mit gesellschaftlichem Wandel und nachhaltiger Wirtschaft. In ihrem Buch «Werte – Ein Kompass für die Zukunft» zeigt sie, warum Wahrhaftigkeit, Verantwortung und langfristiges Denken für eine zukunftsfähige Gesellschaft entscheidend sind.
Maja Göpel, warum sind Werte gerade in Zeiten des Umbruchs so wichtig?
Weil sie uns Orientierung geben. Werte sind unser innerer Kompass und bieten soziale Sicherheit, besonders wenn vertraute Strukturen ins Wanken geraten. Dann zeigt sich, welche Werte wirklich tragen. Entscheidend ist, ob wir nur an kurzfristige Ergebnisse denken oder unseren Beitrag als Teil eines grösseren Ganzen begreifen. Wer über den eigenen Vorteil hinausblickt, kann tragfähige Lösungen mitgestalten.
Haben Digitalisierung und Globalisierung unser Werteverständnis verändert?
Unsere Grundwerte verändern sich langsamer, als wir denken – aber ihre Auswirkungen wandeln sich ständig. Nehmen wir Freiheit: In einer Gesellschaft mit vielen Vorgaben führt sie zu mehr persönlichem Entscheidungsspielraum. Doch wenn die Entscheidungen einer Person die Freiheit einer anderen einschränken, stellt sich die Frage, wann Kompromisse nötig sind. Werteorientiertes Handeln ist immer situationsabhängig und muss ausgehandelt werden.
Wie unterscheiden sich Werte zwischen den Generationen?
Zentrale Werte verschieben sich oft mit dem Lebensabschnitt. Junge Menschen denken oft freier und idealistischer, während mit mehr Verantwortung im Leben Sicherheit wichtiger wird. Gleichzeitig erleben wir heute tiefgreifende Veränderungen, die viele Menschen wieder stärker nach überschaubaren Lösungen und Herausforderungen suchen lassen.
Welche Werte helfen uns, den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen?
Drei Werte scheinen mir besonders wichtig: Wahrhaftigkeit – der Mut, ehrlich hinzuschauen und nicht in beschönigende Erzählungen zu flüchten. Langfristigkeit – Entscheidungen, die kurzfristig mühsam sind, aber nachhaltige Lösungen fördern. Und Verbindlichkeit – die Bereitschaft, Verantwortung für das grosse Ganze zu übernehmen, statt sich in einer Ich-Fokussierung zu verlieren, die am Ende alle verunsichert.

Was bedeutet all das für Unternehmen?
Unternehmen, die langfristig denken, sind widerstandsfähiger. Es reicht nicht mehr, nur produktiver oder innovativer zu sein. Entscheidend ist, wie sehr sich ein Unternehmen als Teil einer sich entwickelnden Gesellschaft versteht. Wer nachhaltige und sinnstiftende Geschäftsmodelle entwickelt, gewinnt Vertrauen von Kundinnen, Investoren und Talenten – und sichert damit seine Zukunftsfähigkeit. Doch nicht nur Unternehmen stehen vor einem Wandel – auch unser Verständnis von Arbeit verändert sich.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?
Technologischer Fortschritt verändert immer auch unser Verhältnis zur Arbeit. Die Frage ist: Welche Tätigkeiten überlassen wir Maschinen – und für welche bleiben wir unersetzlich? Menschliches Wohlergehen hängt immer von guten zwischenmenschlichen Beziehungen ab, und das wird auch in einer digitalisierten Welt nicht weniger. Empathie, Kreativität und tragende soziale Interaktion lassen sich nicht automatisieren. Bildungs- oder Pflegeberufe gewinnen an Bedeutung, erhalten aber leider oft nicht die angemessene Wertschätzung. Wenn wir über die Arbeit der Zukunft sprechen, müssen wir auch überlegen, welche Tätigkeiten wir gezielt aufwerten wollen.
Unternehmen, die
langfristig denken, sind widerstandsfähiger.
Steht die Wirtschaft an einem Wendepunkt?
Unbedingt. Wohin sie sich wendet, entscheidet sich jetzt. Einige Unternehmen haben erkannt, dass nachhaltige Geschäftsmodelle langfristige Sicherheit ermöglichen, während andere weiterhin auf kurzfristige Gewinne setzen – ohne die gesellschaftlichen Folgen oder eigenen Risiken mitzudenken. Problematisch wird es, wenn sich Unternehmen aus der Verantwortung stehlen und so tun, als hätten sie nichts mit den Auswirkungen ihrer Entscheidungen zu tun.
Haben Sie Beispiele für Unternehmen, die diesen Wandel bereits gestalten?
Antje von Dewitz hat als CEO den Outdoor-Ausrüster Vaude konsequent nachhaltig ausgerichtet – mit Erfolg, sie gilt als Vorbild. Oder nehmen wir Edding: wenn ein Grossvater mit seinem Enkelkind auf dem Arm sinngemäss sagt: «Wenn die Produkte dieses Unternehmens irgendwann nicht mehr in eine stark veränderte Welt passen, dann ist das in Ordnung.» Diese Haltung blickt nicht nur auf Marktanteile, sondern verdeutlicht die ursprüngliche Idee von Unternehmertum: Lösungen anbieten. Das kann ich in ganz unterschiedlicher Form tun, wenn ich mich als kreatives und wandlungsfähiges Mitglied einer Gesellschaft verstehe.
Welche Innovationen im Finanzsektor halten Sie für besonders wichtig?
Kapital fliesst heute meist in Technologien oder Vermögenswerte, die kurzfristige Gewinne versprechen. Nachhaltige Innovationen brauchen aber mutige und langfristige Investitionen, die nicht nur Dividenden, sondern auch die Erhaltung und Entwicklung von Grundlagen im Blick haben. Bildung, der Erhalt natürlicher Ressourcen und soziale Innovationen sind unterfinanziert, obwohl dieses reale Kapital die Voraussetzung für zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg bildet. Letztlich stellt sich die Frage: Welche Zukunft gestalten wir mit unserem Geld?
Was können wir tun, um den Wertewandel positiv zu gestalten?
Verantwortung übernehmen, statt sie abzuschieben. Hinschauen, statt wegzusehen. Heute so handeln, dass es auch morgen trägt. Es ist entscheidend, klar zu benennen, welche Werte ein wirtschaftliches Erfolgsmodell berücksichtigt. Daraus ergibt sich der Kompass – und Vertrauen in unsicheren Zeiten.

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