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Glokalisierung
Aus Langnau statt Shenzen
Die Entwicklung der Globalisierung der Wirtschaft und der Internationalität des Handels erschien lange Zeit als unumkehrbar. Arbeitsplätze aus Industrieländern verschoben sich in aufstrebende Märkte und Lieferketten internationalisierten sich.
Lange Zeit hieß es Shenzen statt Langnau. Doch verschärfte Systemwettbewerbe zwischen China und den USA rüttelten an den Grundfesten der Globalisierung und die Corona-Krise hat aufgezeigt, wie sensibel das System der internationalen Wertschöpfung ist. Liefer- und Handelsketten waren plötzlich unterbrochen und das weltweite Produktionsnetz gestört.
Trend der kosmopolitischen Heimatliebe
Bereits vor Pandemie, Handelsstreit und Strafzöllen war ein wachsendes Reshoring zu verzeichnen. Immer mehr Unternehmen holen ihre Wertschöpfungs- und Lieferketten wieder zurück, vor allem in der Chemie-, Automobil- und Pharmabranche. Viele Unternehmen planen den Ausbau in eigene, nationale Regionen.
Erleben wir das Ende der Globalisierung?
Oder ändert sich lediglich das Kostüm und die Glokalisierung hält Einzug. Eine Art Dezentralisierung der Märkte und Wertschöpfungsketten bei zeitgleicher Intensivierung der kooperativen Systeme — lokal und doch global.
Mit Druck umgehen — Bits und Bytes statt Container
Güterhandel war gestern, grenzüberschreitende Datenströme sind heute und morgen. Der Handel mit Dienstleistungen wächst um 60 Prozent schneller als der Warenverkehr. Globale Lieferketten erhalten durch neue Technologien in Form von digitalen Plattformen und Künstlicher Intelligenz einen transformativen Anstrich. Während sonst unfertige Investitionsgüter wie Industrieanlagen, Maschinen, Werk- oder Fahrzeuge in alle Weltregionen verschifft wurden, genügt es heute, digitale Konstruktionsskizzen oder Baupläne zu versenden. Das gewünschte Endprodukt kann so beim Kunden vor Ort passgenau hergestellt werden.
Datentransfer macht den Güterhandel im weitesten Sinne obsolet. Steile These oder Fakt? Der US-Konzern General Electric hat seine Produktionsmethoden bereits vor Jahren verändert. Statt 20 Einzelteile für eine Kraftstoffdüse an ihren Standort nach Indien zu liefern, werden Fertigungspläne übertragen. Den Rest der Produktion erledigt der 3-D-Drucker vor Ort. Die additive Produktion senkt Liefer- und Logistikkosten, verkürzt durch Vereinfachung die Zykluszeit um bis zu zehn Mal und ermöglicht On-Demand-Produktlösungen für das Unternehmen. Ganz nebenbei übertrifft die Qualität die der traditionellen Vorgänger.
Daraus resultieren in Zukunft umfassende Veränderungen der Warenströme und dies führt zeitgleich zur Entlastung der Verkehrswege und der Umwelt.
Der Handel mit Dienstleistungen wächst um 60 % schneller als der Warenverkehr.
Slowbalisation
Empirische Evidenzen sprechen nicht für das Ende der Globalisierung, wohl aber für eine bedeutsame Restrukturierung der Handelsverflechtungen.
Containern nach Asien verschifft, um sie dort von billigeren Arbeitskräften zu Konsumgütern weiterverarbeiten zu lassen — Tendenz jedoch sinkend.
Auch in Asien steigen Lohn-, Umwelt- und Sozialkosten, zudem werden besonders China und Indien vermehrt für den Eigenbedarf produzieren müssen und die digitalen Technologien torpedieren das Billiglohnvorhaben. Günstigeres «Made in Europe» wird dank Künstlicher Intelligenz und Big Data wieder attraktiver. Drohende Strafzölle haben
zudem tiefe Bremsspuren hinterlassen. Globalisierungsstrategien sind daher zunehmend mit Risiken und höheren Kosten verbunden. Das Ergebnis ist derzeit ein grenzüberschreitendes Schneckenrennen, welches das Magazin The Economist als «Slowbalisation » beschreibt.
Die Globalisierung ist keinesfalls out, vielmehr ändert sie ihre Gestalt und wir erleben den Beginn der Glokalisierung — mehr Langnau, weniger Shenzen. Geschäftsmodelle und Märkte bleiben global, konkrete Lösungen werden aber stärker lokal geprägt. Weniger Container, dafür mehr globaler Austausch von Wissen und Daten. Dezentrale Produktion beim Kunden statt Verlagerung in Niedriglohnländer. So arbeiten Zukunftbeweger. So geht digitale Globalisierung.
Wächst der Steuerkuchen bald jährlich um 100 Mrd. USD?
Die fortschreitende Digitalisierung führt zu neuen Formen der Wertschöpfung und Modellen der Steuervermeidung. Die Reform der OECD nimmt vor allem die GAFA-Techkonzerne (Google, Apple, Facebook, Amazon) ins Visier. Die geplante Digitalsteuer soll künftig nicht nur am Firmensitz, sondern auch in den Marktstaaten abgeführt werden. Zusammengefasst: Steuern werden dort entrichtet, wo die Wertschöpfungskette erzielt wird. Ade, aggressive Steuerplanung und Oasenflucht? Abwarten — die Verhandlungen der 137 Staaten laufen noch bis Mitte 2021.