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“Wirtschaftswachstum wurde zur Zwangshandlung.”
Einer der einflussreichsten Ökonomen des Landes, Professor der Volkswirtschaftslehre, Autor und Glücksforscher Mathias Binswanger stellt sich im Interview mit Globalance den Fragen zu alternativen Wirtschaftssystemen, Wachstumszwang und dem gesellschaftlichen Glück.
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Zum Nachlesen das Interview hier in voller Länge.
Im Frühling jährt sich die Publikation von “Grenzen des Wachstums” des Club of Rome zum fünfzigsten Mal. Sie ist wohl die bekannteste Prognose über das Ende des Wachstums, auch wenn sie sich als falsch herausgestellt hat. Trotzdem sehen Sie im damaligen Bericht wichtige Erkenntnisse. Welche?
Bis in die 1970er-Jahre wurde Wirtschaftswachstum per se nicht hinterfragt; man hat sich nicht groß mit dessen Auswirkungen auf die Ökosysteme befasst. Nach dem ersten Ölpreis-Schock und dem Erscheinen von “Grenzen des Wachstums” hat die Diskussion über Wachstum nie mehr aufgehört. Wir fragen uns zu Recht, ob es Sinn macht, zu wachsen, wenn gleichzeitig Umweltschäden in Kauf genommen werden müssen. Auch gilt es zu beachten, dass man heute weiß, dass Wirtschaftswachstum per se die Bevölkerung in hoch entwickelten Ländern gar nicht unbedingt glücklich macht.
Die “Donut-Ökonomie” von Kate Raworth reiht sich in die Liste alternativer Wirtschaftssysteme ein, die auch ohne Wachstum Wohlstand innerhalb unserer planetarischen Grenzen schaffen sollen. Sie haben dieses Konzept einmal als “utopische Wohlfühlökonomie” betitelt. Weshalb?
Es gibt viele Vorschläge, welche das Problem der heutigen Wirtschaft erkannt haben. Nämlich, dass diese auf stetiges Wachstum ausgerichtet ist, Wachstum aber nicht das alleinige Ziel sein sollte. Diese Konzepte funktionieren aber nur, wenn man wirtschaftliches Wachstum ausklammert. Deshalb bleiben sie eine Utopie, denn die Wirtschaft entwickelt sich heute in eine andere Richtung. Sie funktioniert nur, wenn es Wachstum gibt – wir haben also einen Wachstumszwang.
Sie haben dazu ein Buch geschrieben. Wie erklären Sie diesen Zwang zum Wachstum?
Wir leben in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem. Das meine ich nicht wertend, sondern beschreibend. Letztlich heißt das, dass Unternehmen zum Überleben Gewinne erzielen müssen. Damit eine Wirtschaft auf makroökonomischer Ebene gut funktioniert, muss es mehr Unternehmen geben, die Gewinne erzielen, als solche, die Verluste schreiben. Das wiederum ist gewährleistet, solange die Wirtschaft wächst. Wenn dieses Wachstum aber aufhört, gerät die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale. Es geht also nicht um Gewinngier oder überbordende Konsumlust. Sondern lediglich darum, eine solche Abwärtsspirale und die darauf folgende Krise zu verhindern.
Sie sagen, nachhaltiges Wachstum sei ein Paradox. Trotzdem sehen Sie Potenzial, das Wachstum in nachhaltigere Bahnen zu lenken?
Wir haben großen materiellen Wohlstand. Das ist auch der Grund, weshalb das Wirtschaftswachstum über lange Zeit hinweg nicht hinterfragt wurde. Heute sieht man aber die oben erwähnten Schattenseiten dieses Wachstumszwangs. Man könnte also in einem ersten Schritt eine Entwicklung in Richtung Mäßigung dieses Wirtschaftswachstums einleiten. Auch sollte man hinterfragen, wie die heute dominierenden Unternehmen der Wirtschaft organisiert sind und ob es nicht allenfalls auch andere Organisationsformen gäbe. Denn auch Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit setzen, müssen heute wachsen und Gewinne erzielen, um zu überleben. Auch sie stoßen also an Grenzen, wenn wir uns nicht überlegen, ob Unternehmen nicht auch andere Organisationsformen und Ziele haben könnten.
Des Weiteren muss Wachstum so weit als möglich von Umweltschäden entkoppelt werden, beispielsweise durch den Einsatz moderner Technologie. Maßnahmen dafür wären etwa, umweltschädliche Prozesse zu verteuern. Gleichzeitig sollten umweltverträgliche Prozesse verbilligt werden. Dadurch lassen sich Emissionen aber nicht komplett verhindern, nur reduzieren. Trotzdem wird Wachstum dadurch schon um einiges weniger negativ. Wir haben also Verbesserungsvorschläge, aber noch nicht die finale Lösung.
Emissionen lassen sich nicht komplett verhindern, nur reduzieren.
Sie sind Professor und an mehreren Hochschulen als Dozent tätig. Was geben Sie der nächsten Generation mit auf den Weg?
Die neoklassische Wachstumstheorie, die an Hochschulen gelehrt wird, sagt, dass es keinen Wachstumszwang gibt. Das heißt, dass die Studierenden zunächst sensibilisiert werden und verstehen müssen, dass unser Wirtschaftssystem einem Wachstumszwang unterliegt. Dann kann man auf das Dilemma zwischen Wachstum und Umweltschäden aufmerksam machen. Erst dann kann man auch zur Problemlösung schreiten.
Nebst Ihrer Professur sind Sie auch noch Glücksforscher. Haben Sie praktische Tipps für uns alle?
Glück liegt nie im Extremen. Das bedeutet, dass ich verschiedene Interessen unter einen Hut bringen muss, um ein glückliches Leben zu führen. Zum Beispiel: Die totale Freiheit ist die “Hölle”. Aber auch totale Sicherheit ist die “Hölle”. Es braucht eine Balance, damit wir Menschen uns so verwirklichen können, wie wir es uns wünschen.
Mathias Binswanger
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel in Fachzeitschriften und in der Presse. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen. Gemäß dem Ökonomen-Ranking der NZZ ist Mathias Binswanger einer der Ökonomen mit dem größten Einfluss in der Schweizer Politik.