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Mehr als einmal tief durchatmen
Unsere Umwelt braucht Erholung
In Indien staunten die Menschen im Frühjahr 2020 nicht schlecht, als sie nach über 30 Jahren urplötzlich das Himalaja-Gebirge aus Teilen ihres Landes mit bloßem Auge sehen konnten. Die meisten Fabriken stellten die Arbeit ein und das übliche Chaos auf den Straßen ließ nach – der Smog hatte sich verzogen. Auch in den chinesischen Metropolen ersetzte blauer Himmel den sonst so grauen Schleier.
Die coronabedingten Lockdowns schubsten Deutschland über die Klimaschutz-Ziellinie 2020. Natürlich erkennt man dort die Wirkung klimapolitischer Instrumente und schmückt sich mit dem gelungenen Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der CO2-Bepreisung, doch gut ein Drittel der Kohlenstoff-Minderungen sind auf die Folgen der Pandemie zurückzuführen. Weltweit reduzierte sich der CO2-Ausstoss um sieben Prozent, was einer Menge von 2,4 Mrd. Tonnen Kohlendioxid entspricht. Eine erfreuliche Neuigkeit, gleichwohl nicht das Resultat einer Strategie, sondern einer Krise.
Einen Motorschaden darfs nicht geben
Demgegenüber steht nämlich unser stotternder Antriebsmotor der biologischen Vielfalt, der versucht, die wesentlichen Lebensvorgänge am Laufen zu halten, bevor uns notwendige Güter und unersetzbare Dienste verloren gehen. Nur mit grossem personellen, technischen und finanziellen Aufwand könnten wir die kostenlosen Gefälligkeiten einer intakten Natur ersetzen – allein in Europa würde uns das EUR 50 Mrd. kosten.
Etwa 60 % der weltweiten Ökosysteme haben sich in den letzten 50 Jahren drastisch verschlechtert.
Bereits mehr als ein Fünftel der globalen CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Entwaldung sowie veränderter Landnutzung. Die Biodiversität der Meere ist in Gefahr, Ozeane versauern und zerstörerische Fischereimethoden dezimieren ganze Bestände, die sich kaum noch erholen. Die “Auszeit” hat uns zwar gezeigt, dass nichts unumkehrbar ist und die Natur sich erholt, wenn man sie lässt. Der “Corona-Knick” bedeutet für die Durchschnittstemperatur aber kaum etwas, denn die Erde 2050 wäre gerade einmal 0,01 Grad kühler. Kurzum: Nur ein Rückgang „menschlicher Aktivität“ kann nicht die ganze Antwort sein, sondern es bedarf einer Umgestaltung der globalen Wirtschaft und freier Fahrt für Innovationen.
Auch in 50 Jahren auf den Gletscher
Naturliebhaber*innen – der Name ist Programm. Sie bewundern unsere natürliche Umwelt, frische Luft ist ihr Lebenselixier und die Berge ihr zweites Zuhause. Aber kollidieren die schnelllebigen Trends der Outdoormode nicht mit dem eben gezeichneten Bild der grünen Verbundenheit? In der gesamten Textilbranche werden jährlich 150 Mrd. Kleidungsstücke produziert und allein in den USA landen 14 Mio. Tonnen im Abfall. Wir kaufen heute 400 Prozent mehr Kleidung als noch vor 20 Jahren, doch gerade Funktionsbekleidung ist auf Langlebigkeit ausgelegt und sollte nicht als Fast Fashion betrachtet werden. Das baskische Outdoorunternehmen Ternua sensibilisiert seine Kundinnen indessen mit Kreislaufwirtschaft in Reinform. Bekleidung, hergestellt aus Teppichen, Fischernetzen, Plastikflaschen, Federn, Kaffeesatz und Nussschalen. Selbst Daunenjacken erhalten recycelte Füllungen ausrangierter Kleidung oder Kissen. Auch der Chemieriese BASF und das Sportunternehmen VAUDE klinken sich gemeinsam in die zirkuläre Wirtschaft ein und bringen 2022 eine Outdoorhose aus chemisch recycelten Altreifen auf den Markt. Ressourcenschonung und Schließung der Materialkreisläufe „gooutdoors“.
Lebensmittel mit feinem Beigeschmack
Optimismus für diesen Wandel versprühen bereits heute die gesellschaftliche Einstellung und das Bewusstsein in Puncto Ernährung, gepaart mit den technologischen Fortschritten rund ums Essen. Die Fleischalternativen à la Beyond Meat sind bereits nicht mehr aus den Kühltheken wegzudenken und auch das In-vitro- Fleisch ist keine schräge Silicon-Valley-Idee mehr. So ist es dem Start-up Eat Just jüngst als weltweit erstem Unternehmen gelungen, eine Zulassung für kultiviertes Fleisch zu erhalten. Das zellbasierte Hühnchen aus dem Labor darf vorerst in Singapur verkauft werden – mit einer grossen Sogwirkung für weitere Zulassungen ist zu rechnen. Weitere Unternehmen wie Mosa Meat oder Aleph Farms stehen in den Startlöchern und sind für den disruptiven Umwälzungsprozess der Food- Industrie bereit. Immerhin gehen etwa 20 Prozent aller Klimaschäden auf das Konto des Fleischkonsums.
Auch 16,5 Kilogramm Fisch verspeist noch jeder Mensch im Schnitt pro Jahr. Das Problem: Drei Viertel aller genutzten Bestände sind längst ausgebeutet. Da kommt der vegane „Räucherlachs“ aus Pflanzenfasern und Algenextrakten von Revo Foods ja genau richtig. Der 3-D-Drucker bringt das Ganze in die typische Form und schon erstrahlt das nachhaltige Lebensmittel im gewohnten Orange. Eine kulinarische Innovation gegen die Überfischung und eine weitere grüne Alternative für den Hunger.
Frischer Wind und sonnige Aussichten für erneuerbare Energie
Windenergie gilt als eine der aussichtsreichsten erneuerbaren Energiequellen und Siemens Gamesa bringt die nächste Generation von Offshore-Turbinen auf den Markt. Der Prototyp mit einem Rotordurchmesser von 222 Metern wird 2021 fertiggestellt und soll ab 2024 im Werk in Cuxhaven gefertigt werden. Das deutsch-spanische Endprodukt wird über die gesamte Lebensdauer 1,4 Mio. Tonnen CO2 einsparen und Strom für 18.000 Haushalte erzeugen. Cherry on the cake: Mit überschüssiger Energie wird direkt auf der Turbine Wasserstoff produziert.
Die meisten eingesetzten Fotovoltaikmodule können lediglich 15 – 19 Prozent des Sonnenlichts nutzen, wohingegen das Start-up Insolight an einem revolutionären Konzept schraubt. Mit hocheffizienten Solarzellen, die sonst nur bei Hightechsatelliten genutzt werden, und einer Bündelung des Sonnenlichtes durch spezielle Glaskörper werden Energieerträge von erstaunlichen 29 Prozent erzielt. Das Ziel: Solarzellen noch bezahlbarer machen und Treibhausgasemissionen senken.
Gründe für Optimismus
- Die Klimakrise ist im Zentrum der Politik und Wirtschaft angekommen
- Das technologische Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft
- Saubere Energie ist günstiger als schmutzige
Gründe für Pessimismus
- Der Rückzug der obsoleten Sektoren wird nicht kampflos erfolgen
- Die Trendumkehr bei Biodiversitätsverlust ist noch nicht absehbar
- Der Mensch ändert sein Konsumverhalten nicht freiwillig
Die Globalance-Sicht
Das Abkoppeln des Wohlstands vom Ressourcenverschleiss ist möglich. Diese Herausforderung unserer Zeit motiviert und setzt Kräfte frei.