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Bhutans Weg zu achtsamem Fortschritt

Bhutan ist das einzige CO2-negative Land der Welt – ein seltener Beweis, dass wirtschaftliche Entwicklung und Verantwortung vereinbar sind. Das Königreich misst Fortschritt am Glück seiner Bevölkerung und zeigt: Eine Gesellschaft kann Zukunft gestalten, wenn Wachstum, Technologie und Werte zusammenfinden.
Am frühen Morgen liegt noch Nebel über Thimphu, der Hauptstadt Bhutans. Zwischen bunten Gebetsfahnen und weißen Stupas mischt sich der Duft von Räucherwerk mit den Klängen einer digitalisierten Zukunft.
Das Land hat das Glück zur Staatsaufgabe erhoben und das Konzept des Bruttonationalglücks (BNG) im Jahr 2008 in der Verfassung verankert. Es ersetzt das Bruttoinlandprodukt als alleiniges Maß für Wohlstand und misst den Zustand des Landes anhand von Lebensqualität, Nachhaltigkeit und sozialem Zusammenhalt. Neun Lebensbereiche bilden den Rahmen: von Bildung und Gesundheit bis zu Kultur und Good Governance, also einer verantwortungsvollen und transparenten Regierungsführung. So entsteht ein Index, der zeigt, wie eng wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliches Gleichgewicht miteinander verbunden sind.
Heute steht Bhutan vor einem tiefgreifenden Wandel. Der Staatsfonds DHI investiert in erneuerbare Energien, digitale Infrastruktur, Start-ups und Bildung – im Einklang mit den Grundsätzen des Bruttonationalglücks. Das Ziel ist ein Wirtschaftsmodell, das Innovation und Gemeinwohl verbindet und somit einen Gegenentwurf zur wachstumsgetriebenen Globalisierung bietet.
Die Stadt der Achtsamkeit
Ein Beispiel dafür ist Gelephu Mindfulness City im Süden des Landes. Die geplante Stadt soll zeigen, dass Fortschritt achtsam gestaltet werden kann. Hier wächst ein Ort, an dem Technologie den Menschen dient. Planung und Bau orientieren sich am Bruttonationalglück, wobei das Gleichgewicht zwischen Lebensqualität, Umwelt und Innovation entscheidend ist.

Bhutan auf einen Blick
Fläche: 38’600 km²
Einwohnende: rund 800’000
Hauptstadt: Thimphu
Staatsform: konstitutionelle Monarchie
Nachhaltigkeit: Bhutan ist das einzige CO2-negative Land weltweit
Staatsziel: Bruttonationalglück (BNG) statt Bruttoinlandprodukt (BIP)
Zwei Visionäre im Gespräch
In Thimphu sprach Globalance Gründer und CEO Reto Ringger mit Ujjwal Deep Dahal, dem CEO des Staatsfonds DHI, über Bhutans Weg zwischen Wachstum, Technologie und Gemeinwohl.
Biografie:
Ujjwal Deep Dahal leitet als CEO den Staatsfonds DHI von Bhutan. Er ist Ingenieur und hat unter anderem am Massachusetts Institute of Technology in Boston studiert. Der Staatsfonds hält 15 Prozent digitale Anlagen wie Kryptowährungen.
Reto Ringger:
Zum Einstieg: Wie würden Sie Bhutan jemandem beschreiben, der noch nie hier war, besonders im Vergleich zu Europa?
Ujjwal Deep Dahal:
Wer Bhutan recherchiert, findet sofort Hinweise auf das Bruttonationalglück. Ich verstehe es als Regierungsphilosophie und als Alternative zum BIP. Es wurde in Bhutan von Seiner Majestät, dem vierten König, entwickelt. Bhutan zeigt seit Jahrzehnten starke Führung im Umwelt- und Naturschutz. Rund 70 Prozent unserer Landesfläche sind bewaldet, und die Verfassung schreibt mindestens 60 Prozent dauerhaft vor.
Bruttonationalglück und Umweltschutz sind zentrale Pfeiler. Unsere Wirtschaft basiert auf Wasserkraft, Tourismus und Landwirtschaft. Wir gewichten Lebenszufriedenheit genauso wie wirtschaftliche Entwicklung, deshalb stützt sich das Bruttonationalglück auf vier Pfeiler und nicht nur auf wirtschaftliche Faktoren.
Gleichzeitig stehen wir Herausforderungen gegenüber. Viele junge Bhutanerinnen und Bhutaner gehen ins Ausland, um bessere Perspektiven zu finden. Wir müssen global angebunden bleiben und hier gute Chancen und Lebensqualität schaffen, ohne das zu verlieren, was Bhutan einzigartig macht.
Heute umfasst die Vision Seiner Majestät des fünften Königs eine Sonderverwaltungszone, die Gelephu Mindfulness City, die einen florierenden und achtsamen Wirtschaftsraum schaffen soll. Sie baut auf unseren Stärken auf und bringt zugleich zukunftsgerichtete Entwicklung. DHI wurde 2007 bei der Einführung der parlamentarischen Demokratie als staatlicher Vermögensfonds gegründet und agiert unabhängig.
Reto Ringger:
Wie wird DHI finanziert?
Ujjwal Deep Dahal:
Bei der Gründung wurden strategische Bereiche wie Wasserkraft, Netzbetrieb, Telekommunikation, Fluggesellschaften und weitere unter unsere Verantwortung gestellt. Heute tragen wir rund 40 Prozent zu den Staatseinnahmen bei und rund 25 Prozent zum BIP, unter anderem durch Steuern, Dividenden und Konzessionsabgaben.
«Bruttonationalglück ist eine Regierungsphilosophie und eine Alternative zum BIP.»
Reto Ringger:
Diese Verbindung von Naturschutz und Bruttonationalglück: Stammt sie eher aus dem Buddhismus oder aus der Monarchie?
Ujjwal Deep Dahal:
Buddhismus prägt unser Leben, aber ebenso wichtig ist die glaubwürdige Führung unserer Monarchie. In Bhutan wird sie nicht nur respektiert, sie wird geliebt. Starke Führung und unsere Tradition verankern diese Werte. Umweltschutz ist Ergebnis guter Regierungsführung und Weitsicht.
Heute zeigt sich Bruttonationalglück unter anderem in der Vision einer achtsamen Stadt, die auch jüngere Generationen anspricht. Kultur muss sich entwickeln, um lebendig zu bleiben. Dieses Denken steckt dahinter.
Reto Ringger:
Dann ist dieses Modell schwer zu kopieren, weil der Kontext entscheidend ist?
Ujjwal Deep Dahal:
Jedes Land hat seinen eigenen Kontext. Wir hoffen, Bhutan kann inspirieren. Andere können das übernehmen, was zu ihnen passt.
Reto Ringger:
Wann entstand der Happiness Index?
Ujjwal Deep Dahal:
Das Konzept wurde in den 1970er Jahren von Seiner Majestät dem vierten König eingeführt.
Reto Ringger:
Was haben Sie in diesen Jahrzehnten gelernt? Was funktioniert gut, und was würden Sie anders machen?
Ujjwal Deep Dahal:
Meine persönliche Sicht: Bruttonationalglück hat vier Pfeiler, nämlich Wirtschaft, Naturschutz, Kultur und gute Regierungsführung. Entscheidungen, ob privat, als Familie oder staatlich, werden entlang dieser Pfeiler getroffen.
Die Herausforderung liegt darin, Glück zu messen. Es ist nicht immer quantifizierbar. Die Frage ist, ob wir es zu sehr instrumentalisieren müssen oder ob wir es als Leitstern nutzen. Im Kern geht es darum, Entscheidungen für Lebensqualität und positive Wirkung zu treffen.
Reto Ringger:
Wie sieht die Bevölkerung das? Wird es verstanden und getragen?
Ujjwal Deep Dahal:
Im Allgemeinen ja. Es wird in Schulen vermittelt und in Arbeitswelten eingeführt. Menschen interpretieren es unterschiedlich, doch es ist vertraut und Teil unserer Identität. Etwa alle fünf Jahre gibt es Befragungen durch das Center for Bhutan Studies.
Reto Ringger:
Wie beeinflusst das Ihre Rolle als CEO?
Ujjwal Deep Dahal:
Wir haben klare Werte. Wir investieren zum Beispiel nicht in Tabak oder Glücksspiel. Wenn wir in Wasserkraft investieren, achten wir auf Nutzen für die Gemeinschaft und auf Umweltschutz. Die Philosophie stärkt langfristige Nachhaltigkeit und regeneratives Wirtschaften. Es ist ein ganzheitlicher Blick, nicht nur ein finanzieller.
Reto Ringger:
Ihr 10x-Programm: Wie hat es sich entwickelt und was ist das Ziel?
Ujjwal Deep Dahal:
DHI trägt rund 40 Prozent zu den Staatseinnahmen bei. Wir müssen die künftige Wirtschaft gestalten, nicht nur bestehende Unternehmen verwalten. Die 10x-Strategie basiert auf drei Säulen:
- Management unseres Portfolios von 25 Unternehmen, inklusive Governance, Kapitalallokation und Talententwicklung. Wir sind aktive Eigentümer mit Board-Sitz und langfristiger Strategieplanung.
- Investitionsstrategie für die nächsten zehn Jahre mit einem Zielvolumen von über 40 Milliarden US-Dollar. Rund 25 Milliarden davon in Wasserkraft und Solar. Fokus auf Energie, Rohstoffe, Wälder, Wasser, Infrastruktur, globale Anlagen, Produktion und Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit.
- Innovationsstrategie zum Aufbau eines Startup-Ökosystems. Wir haben Proof-of-Concept-Teams, ein Super Fab Lab mit dem MIT und entwickeln einen Innovationsfonds mit mehreren Instrumenten. Wir vernetzen globale und lokale Gründer, Innovatoren und Wissenschaft. Ziel ist ein diversifiziertes Innovationsökosystem und die Rückkehr junger Talente. 10x meint nicht nur höhere Einnahmen, sondern Haltung, Führung und Ambition. Dazu kommen drei Unterstützungsstrategien: Technologie, Talente und Finanzierung.
Reto Ringger:
Auch mit einem Zeithorizont von zehn Jahren?
Ujjwal Deep Dahal:
Ja. Schon eine neue Schlüsselindustrie oder ein Unicorn könnte den Plan erfüllen, ebenso der Ausbau der Wasserkraft. Doch das wahre Ziel ist langfristige Fähigkeit und Widerstandskraft.

Reto Ringger:
Bhutan ringt darum, junge Talente zu halten. Ich sprach mit jungen Bhutanern im Flugzeug, die im Ausland studieren und nur kurz zurückkehren. Sie verfolgen diese Entwicklungen genau.
Ujjwal Deep Dahal:
Genau. Unsere 10x-Strategie steht im Einklang mit der wirtschaftlichen Roadmap des 21. Jahrhunderts, und die Gelephu Mindfulness City ist ein Teil davon. Wir bauen Schritt für Schritt eine Zukunft, die junge Menschen anspricht.
Reto Ringger:
Wie passt die Gelephu Mindfulness City hinein?
Ujjwal Deep Dahal:
Sie ist eine Sonderverwaltungszone, im Grunde eine Startup-Stadt mit eigenen Befugnissen. Ein Instrument Seiner Majestät, um Fortschritt zu beschleunigen und zugleich Werte zu bewahren. Sie hat eigene Governance und Gerichtsbarkeit. Ein internationaler Flughafen und eine Bahnverbindung nach Indien sind geplant. Schwerpunkte sind grüne Energie, Agritech, Forstwirtschaft, Fintech, Spiritualität, Luftfahrt, Logistik und Tourismus. Keine umweltbelastenden Industrien.
In 40 Jahren wird sie wieder ins gesamte Staatswesen integriert. So können wir schnell lernen, dann konsolidieren.
DHI bringt Investoren, baut Infrastruktur und stellt Know-how bereit.
Reto Ringger:
Welche Rolle spielen KI und Blockchain?
Ujjwal Deep Dahal:
Eine zentrale. Bhutan hat bereits eine nationale digitale Identität auf Blockchain-Basis eingeführt. Wir bauen Know-how in KI auf, prüfen Tokenisierung von Ressourcen und langfristige Chancen.
Wir glauben, dass sich künftige Industrien aus digitalen, physischen und biologischen Systemen zusammensetzen, etwa Robotik mit autonomen Systemen. Wir suchen Wege, wie Bhutan in globale Wertschöpfungsketten einsteigen kann. Wir haben Zeit, müssen aber jetzt handeln.
Reto Ringger:
Gibt es internationales Interesse?
Ujjwal Deep Dahal:
Ja. Wir brauchen globale Partner. Diese Reise gelingt nicht alleine. Wir haben die Strategie selbst entwickelt und suchen nun Partner, die die Mission mittragen und nachhaltig unterstützen.
Reto Ringger:
Letzte Frage: Wenn Sie einen Wunsch für die nächsten zehn Jahre hätten?
Ujjwal Deep Dahal:
Ein lebendiges Innovationsökosystem, in dem junge Menschen echte Chancen haben zu bauen, zu scheitern, zu lernen und erfolgreich zu sein. Unternehmertum soll selbstverständlich werden, nicht Ausnahme. Wenn Studierende sagen: Ich gründe hier etwas, und das System trägt sie dabei, dann wäre das ein Meilenstein. Erfolgsgeschichten werden weitere inspirieren und Dynamik erzeugen.

Was kann Deutschland von
Bhutan lernen?
- Ganzheitliches Denken: Fortschritt wird an
Lebensqualität gemessen – nicht allein an
Wachstum. - Verantwortungsvolles Wirtschaften: Erfolg
ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel
zum Gemeinwohl. - Langfristige Perspektive: Politik und
Wirtschaft orientieren sich an mehreren
Generationen. - Balance von Innovation und Sinn: Technologie
soll verbinden, nicht entfremden

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