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Macht der Maschine – Macht der Staaten

Früher waren es Raketen, heute sind es KI-Chips und Rechenzentren, die geopolitisches Gewicht verleihen. Mit künstlicher Intelligenz wird digitale Infrastruktur zum goldenen Schlüssel der Weltordnung.

Wer Daten, Rechenzentren und KI-Chips beherrscht, gewinnt Einfluss. Anders als das Internet, das von Beginn an auf Austausch ausgelegt war, lässt sich KI stärker national binden und kontrollieren. «KI ist eine Querschnittstechnologie mit enormer Hebelwirkung», sagt Myriam Dunn Cavelty, Expertin für Sicherheitspolitik an der ETH Zürich. «Sie durchdringt Wirtschaft, Sicherheit und internationale Beziehungen – und prägt damit die Zukunft.»


USA: Innovation als Machtinstrument

Die Vereinigten Staaten setzen auf die Innovationskraft ihrer Konzerne. Microsoft, Google und OpenAI sind längst zu einer Art nationalem Kapital geworden: Sie ziehen Talente aus aller Welt an, betreiben die größten Cloud- Infrastrukturen und entwickeln die leistungsfähigsten KI-Modelle.

«Momentan haben die USA eindeutig die besten Karten», sagt Dunn Cavelty. Milliardeninvestitionen des Verteidigungsministeriums in autonome Drohnen, Cyberabwehr und KI-Systeme, die militärische Entscheidungen vorbereiten, untermauern diesen Vorsprung. Die Stärke liegt im Zusammenspiel von Staat und Privatwirtschaft – die Schwäche in der Abhängigkeit von wenigen Konzernen.

China: Kontrolle als Strategie

Peking verfolgt einen Masterplan: Bis 2030 will das Land im Bereich der künstlichen Intelligenz an der Weltspitze stehen. Mit zentraler Steuerung, riesigen Datensätzen und einer engen Verzahnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Militär treibt China den Ausbau voran. KI steuert Verkehrsflüsse, erkennt Gesichter und wird in Militärprojekten genutzt. Die Stärken: Geschwindigkeit, Steuerung und Datenfülle. Doch es gibt auch eine Achillesferse: «China ist nach wie vor stark abhängig von westlicher Halbleitertechnologie», betont Dunn Cavelty. Hinzu kommt das Misstrauen vieler Staaten, denn Überwachung und Zensur untergraben die internationale Glaubwürdigkeit. Zwar hat das chinesische Start-up DeepSeek zuletzt international für Aufsehen gesorgt – doch Dunn Cavelty betont, dass einzelne Erfolge nicht genügen. Entscheidend sei das gesamte Ökosystem aus Infrastruktur, Talenten und Kapital.

«Technologie ist nie neutral. Sie wird von Menschen entworfen, gestaltet und politisch geprägt.»

Europa: Regeln statt Ressourcen

Europa setzt auf Regulierung. Mit dem AI Act will die EU Standards schaffen, ähnlich wie schon mit der Datenschutz-Grundverordnung. «Ohne Vertrauen werden Menschen KI langfristig nicht akzeptieren», sagt Dunn Cavelty. Gleichzeitig warnt sie, dass Regulierung allein nicht ausreiche: Europa habe keine Tech-Giganten wie Amazon oder Microsoft und keine nennenswerte Chipproduktion – somit bleibe der Kontinent von Importen abhängig. Immerhin ist das Problem erkannt: Mit der Initiative Gaia-X für eine europäische Daten- und Cloud-Infrastruktur sowie neuen Halbleiterprogrammen versucht Europa, technologisch aufzuholen. Ob daraus ein echtes Gegengewicht zu den USA und China entsteht, hängt nun von Tempo und politischem Willen ab.

Techkonzerne: Neue Machtzentren

Die Rolle der Unternehmen hat sich verändert. Nvidia liefert mit seinen H100-Chips den «Sauerstoff» der KI-Industrie, Microsoft sichert sich Mehrheiten an Start-ups und Google setzt mit seinen Cloud-Diensten Standards. «Ohne Big Tech geht es im KI-Bereich momentan nicht», sagt Dunn Cavelty. Zugleich treten die CEOs der Konzerne immer politischer auf und mischen offen im Diskurs mit. «Früher hatten Ölkonzerne auch Macht, aber sie war nicht so nah an unserem Alltag.»

Zwischen Hoffnung und Risiko

Handelsrestriktionen gegen China oder Exportkontrollen von KI-Chips aus den USA zeigen, wie stark Technologie bereits als geopolitisches Instrument dient. Gleichzeitig wächst das Risiko von KI-gestützten Cyberangriffen und Desinformation. Erste Beispiele aus dem Ukrainekrieg haben gezeigt, wie real diese Gefahr ist. Für Dunn Cavelty ist KI ein Machtmultiplikator. Sie verstärke das, was schon da ist. Im Positiven führe sie zu neuen Therapien in der Medizin, Fortschritten in der Klimaforschung und effizienteren Stromnetzen. Im Negativen schaffe sie neue Abhängigkeiten von Energie und Rohstoffen – und fördere Polarisierung. Ob KI gesellschaftlich tragfähig wird, hängt letztlich davon ab, ob Menschen verstehen, welche Ziele sie verfolgt und wie sie entscheidet.

Talente im globalen Wettlauf

Außer der Infrastruktur sind die Köpfe entscheidend. Gefragte KI-Forschende wechseln zwischen Universitäten, Start-ups und Militärprojekten. «Talente sind die knappste Ressource überhaupt», betont Dunn Cavelty. Die Schweiz punktet mit der ETH und Spitzenforschung, verliert aber viele internationale Absolventinnen und Absolventen an andere Länder – weil strenge Visaregeln den Berufseinstieg erschweren und Risikokapital für Startups fehlt. Die Schweiz mag klein sein, doch ihre Wirkung kann groß sein, indem sie Räume für Dialog schafft und Talente bindet.

Künstliche Intelligenz ist zum geopolitischen Machtfaktor geworden – wer Chips kontrolliert, kontrolliert die Zukunft.

Dr. Myriam Dunn Cavelty ist stellvertretende Leiterin für Forschung und Lehre am Center for Security Studies der ETH Zürich. Sie erforscht, wie digitale Technologien politisches Verhalten und gesellschaftliche Werte beeinflussen.


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