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Wann geht der Sprit aus?

Das aktuelle Grundrauschen der Strasse: Auf Norwegen folgen Frankreich, Grossbritannien und sogar Städte wie Stuttgart mit Dieselfahrverboten. Die gesamte deutsche Autobranche erlebt ihr «Dieselgate». Der schwedische Autohersteller Volvo kündigt an, ab 2019 nur noch Fahrzeuge mit Elektroantrieb herzustellen. Tesla liefert endlich die ersten Model 3 für den Massenmarkt. Und der Technologiekonzern Intel übernimmt Mobileye, einen Radartechnologie-Leader für autonomes Fahren. Das klingt nach Zukunftsmusik.

LEBENSWERTE STÄDTE UND VERBRENNUNGSMOTOREN SIND WENIG KOMPATIBEL

Bis vor kurzem lebten wir in einer Mobilitätsharmonie, orchestriert von Politik und Automobilindustrie. Inzwischen erklingen viele unterschiedliche Töne, aus denen sich nicht so recht eine einheitliche Melodie ergeben will. Zeit für eine nüchterne Betrachtung. Die Veränderungen sind tatsächlich nicht nur ein Sommerhit, sondern wirken tiefer. Hinein in Bereiche von Energie und Rohstoffversorgung über Transport bis zur Gestaltung unserer Lebens- und Kulturräume. Hier wird nicht von dem guten alten Symphonieorchester ein neues Stück eingeübt – hier ist eine andere Band am Werk und komponiert ein neues Genre.

DIE KLASSIKER SUCHEN IHR PUBLIKUM

Die traditionelle Autoindustrie mit ihren Verbrennungsmotoren wird nicht mehr die erste Geige spielen. So hat das E-Auto 15 bis 20 bewegliche Teile – das normale Automobil dagegen rund hundertmal so viele. Auch die Produzenten von fossiler Energie verlieren. Das überraschen schnelle Wachstum der E-Mobilität und der Kostenverfall für Photovoltaik haben dazu geführt, langfristige Prognosen zu revidieren: Fossile Brennstoffe könnten in zehn Jahren über 10 Prozent ihres Marktanteils nur an Solarstrom verlieren. Ein Marktanteilsverlust in dieser Höhe führte übrigens zum Kollaps der US-Kohleindustrie.

DER NEUE STAR STEHT UNTER STROM

Wir heben die Mobilitätsrevolution auf die Bühne. Wer aber ideologiefrei hinsieht, wird sich fragen, woher der Strom für eine vollständige Elektrifizierung des Transportsektors kommen soll. Allein für Grossbritannien wird (bei 90 Prozent Elektromobilität) der Mehrverbrauch im Jahr 2050 in Spitzenzeiten
auf 18 Gigawatt pro Jahr geschätzt. Das ist in etwa gleich viel, wie das neu geplante Kernkraftwerk Hinkley Point produzieren soll. Rund ein Drittel des zukünftigen Energieverbrauchs muss durch Effizienzmassnahmen gedeckt werden. Weiter wird damit zu rechnen sein, dass zu Spitzenzeiten der Strombezug gedrosselt werden muss – indem beispielsweise Auto-Ladezeiten gestaffelt werden. Der Verfall der Strompreise in Europa zeigt, dass die Strukturen aus dem letzten Jahrhundert nicht mitspielen
können. Nicht nur der Mangel an sauberem Strom ist das Problem: Um die ganze Klaviatur der Elektrifizierung zu beherrschen, müssen auch die regionalen Strommärkte vollständig reformiert werden.

DIGITALE ORCHESTRIERUNG UND ROHSTOFFREICHE KOMPOSITION

Die digitale Steuerung von Speicherung, Übertragung und Verbrauch wird es erlauben, mit Stromschwankungen und fehlender zeitlicher Synchronisation von Stromproduktion und -verbrauch «smart» umzugehen. Die kohlenstoffarme (Batterien-)Welt bleibt aber ein Wunschtraum: Die Weltbank warnt vor erhöhter Rohstoffintensität und negativen Produktionsbelastungen. Schon positionieren sich Bergbau- und Chemiekonzerne: Benötigt werden Lithium, Kupfer, Nickel, Kobalt. Innovationen sind gefragt, um die Produktion verträglicher zu machen und die Stoffkreisläufe frühzeitig vollständig zu schliessen. Bei Knappheit und Preissteigerungen sollten regulatorisch initiierte Preissignale nicht nötig sein. Und die Hersteller von konventionellen Katalysatoren? Werden sie mit dem Verbrennungsmotor backstage verschwinden? Oder sich mit alternativen Materialien und Kreislaufkonzepten einen Platz in den Charts der sauberen Energieversorgung sichern?